Love Over Gold Cover

Telegraph Road

1982

Love Over Gold

Dire Straits

Das Lied Telegraph Road erzählt von der Entstehung einer Stadt – vom ersten Siedler an einem Wanderpfad, hin zu Fabriken und sechsspurigen Straßen, und von der Rolle des Menschen in dieser Entwicklung.

Dire Straits

Über den Interpreten

Die Dire Straits waren eine 1977 gegründete, britische Rockband.

Der Name bedeutet so viel wie 'Schlimmes Bedrängnis', in Anspielung auf die unschöne finanzielle Situation der vier Gründungsmitglieder, den Brüdern Mark und David Knopfler, sowie John Illsley und Pick Withers.

Obwohl das Debütalbum Dire Straits mit Titeln wie Lions, In The Gallery und den Sultans Of Swing in Großbritannien anfangs unterging, entwickelte es sich in den Niederlanden, Deutschland und den USA langsam zu einem Erfolg.

Der große Durchbruch erfolgte allerdings erst mit dem dem dritten Album 'Making Movies', nachdem David Knopfler nach Unstimmigkeiten mit seinem Bruder die Band verlassen hatte.

Heute zählen die Dire Straits mit 120 Millionen verkauften Alben zu den erfolgteichsten Bands der letzten Jahrzehnte.

Love Over Gold

Über das Album

Love Over Gold ist das vierte Studioalbum der Band Dire Straits.

Es wurde zwischen dem 8. März und dem 11. Juni 1982 in den Power Studios in New York allein von Mark Knopfler produziert, und stützt sich, besonders in der Wahl der Instrumente, auf den relativ frischen Erfolg der Band nach dem Durchbruch mit dem vorherigen Album 'Making Movies'

Nach den Aufnahmen verließ der Schlagzeuger Pick Withers wegen musikalischer Differenzen die Band, und nahm auch an der anschließenden Tournee nicht mehr Teil.

Schike

Schike

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Professioneller Über-Analysierer und der, der den ganzen Blödsinn hier angefangen hat.

In aller Kürze

Das Lied Telegraph Road erzählt von der Entstehung einer Stadt – vom ersten Siedler an einem Wanderpfad hin zu Fabriken und sechsspurigen Straßen, und von den Konsequenzen für die Menschen, die dort leben.

Der erste Teil erzählt die Geschichte mir einer Art Magie und Optimismus, aber auch erzählerischen Distanz. Später wanderlt sich der Erzähler zu einem Ich, das im Trott der Moderne gefangen ist. Er erzählt von Arbeitsnot, beschreibt den sterbenden Einzelhandel und wirre Generationenverträge, und von einer verfallenden Beziehung zu einem angespruchenen Du.

Im letzten Teil erinnert sich der Erzähler an andere Zeiten. Er beschließt, sich nicht mit seiner Lage zufrieden zu geben, und die Telegraph Road mit seiner Partnerin zu verlassen.

Erste Strophe

A long time ago came a man on a track

Walking thirty miles with a sack on his back

And he put down his load where he thought it was the best

Made a home in the wilderness

Der erste Teil des Lieds wird wie eine Geschichte am Lagerfeuer erzählt. Der Erzähler ist jemand, der von Legenden berichtet, von denen er selbst Jahrzehnte oder Jahrhunderte entfernt ist.

Er erzählt von dem ersten Siedler und den bescheidenen Anfängen der Telegraph Road: Ein ehemals einfacher Wanderpfad ohne Namen.

Der Siedler sucht sich scheinbar willkürlich eine Stelle aus, die ihm gefällt, und verwandelt sie in eine Heimat.

Built a cabin and a winter store

And he ploughed up the ground by the cold lake shore

The other travellers came walking down the track

And they never went further, no, they never went back

Der Siedler baut sich eine Hütte und legt ein Feld am "kalten Seeufer" an. Das Motiv Wasser wird später im Song wiederholt aufgegriffen. Ein weiteres Motiv ist das der "Ehrlichen, harten Arbeit", das in mehreren von Knopflers Songs eine Rolle spielt.

Then came the churches, then came the schools

Then came the lawyers, then came the rules

Then came the trains and the trucks with their load

And the dirty old track was the Telegraph Road

Im erzählerischen Vollgas strömt Zivilisation in den Ort: Schulen, Kirchen, Gesetze, Wirtschaft, alles innerhalb von kurzen Abschnitten.

Die riesigen Mahlwerke, zwischen denen das Alltagsleben herumgeworfen wird, platzen innerhalb von Sekunden an einen Ort, der bis jetzt Jahrtausende wunderbar ohne sie ausgekommen ist.

Eine Perspektive, die alles plötzlich unwesentlich und fragil wirken lässt.

Die Reihenfolge ist außerdem interessant: Erst Kirche und (Aber-) Glaube, dann Schulen und Bildung. Erst Anwälte, dann Regeln und Gesetze. Die "Grundpfeiler der Zivilisation" sind hier keine Naturgesetze, sondern genauso willkürlich, wie alles in den Anfängen der Telegraph Road.

Zweite Strophe

Then came the mines, then came the ore

Then there was the hard times, then there was a war

Minen sind ein wunderbar klares Symbol für harte, unerbittliche Arbeit – und kein Positives.

Auch die Folgen der Minenarbeit sind düster: Kurz nach der ersten Erzförderung wird von schlechten Zeiten und Krieg erzählt – fast als logische Konsequenz der Erschließung einer neuen Ressource.

Das, wofür Arbeit am Anfang steht, beginnt zu korrumpieren.

Telegraph sang a song about the world outside

Telegraph Road was so deep and so wide

Like a rolling river

Der Krieg reißt die Telegraph Road außerdem aus ihrem Vakuum. "Der Telegraph singt ein Lied von der großen Welt".

In dieser Zeile verändert sich die Erzählweise:

Der bis jetzt relativ distantierte Erzähler beschreibt die Entwicklung plötzlich mit einem Anflug von Ehrfurcht: "Die Straße war so groß und so breit". Die Telegraph Road hat sich von einfachen menschlichen Einflüssen losgerissen, und der Erzähler ist kein unberührter Beobachter mehr, sondern jemand, der sich im Strom befindet.

Apropos Strom – hier wieder das Wasser-Motiv: Die Telegraph Road hat sich von einem ruhigen See zu einem reißenden Fluss entwickelt, der für den normal Sterblichen nicht mehr kontrollierbar ist.

(Instrumental)

Trotz der etwas einschüchternden Entwicklungen ist der musikalische Part abendteuerlich und aufregend.

Noch.

Dritte Strophe

And my radio says tonight it's gonna freeze

People driving home from the factories

Six lanes of traffic

Three lanes moving slow

Der Erzähler kommt in der Gegenwart an, und verwandelt sich vom stillen Beobachter, der eine Geschichte erzählt, in einen Ich-Erzähler, der selbst in der Geschichte, und zwischen den großen zivilisatorischen Mahlwerken steckt.

Der Erzähler ist nicht glücklich in dieser Welt, aber abhängig von ihr: Er weiß, dass es heute Nacht frieren wird, aber nur, weil er es von seinem Radio gesagt bekommt.

Trotz der Wettersituation müssen die Leute in die Fabriken. Die "ehrliche Arbeit" wurde industrialisiert. Der Erzähler sagt bewusst mit keinem Wort, was die Fabriken eigentlich herstellen – es ist ihm nicht wichtig genug. Bei Arbeit geht es heute nicht mehr darum, etwas zu erreichen, sondern nur um Beschäftigung. Die Arbeit hat ihren Zweck und damit ihren Wert verloren.

Die Welt ist für den Erzähler in einen industriellen Trott verfallen. Das wird einmal mit einer suboptimalen Verkehrssituation verdeutlicht, aber auch wieder mit einem Wasser-Motiv: "Heute nacht wird es frieren." Und ein gefrorener Fluss bedeutet Stillstand.

(Instrumental)

Ein krasser Kontrast zum ersten Instrumental-Part. Aufregung und Abenteuer werden in einer Vollbremsung von fast seufzender Mürbe und Müdigkeit abgelöst.

Vierte Strophe

I used to like to go to work but they shut it down

I've got a right to go to work but there's no work here to be found

Yes, and they say we're gonna have to pay what's owed

We're gonna have to reap from some seed that's been sowed

Die Erzählweise ändert sich noch einmal leicht: Von apathisch zu persönlich.

Der Erzähler kann keine Arbeit finden, obwohl er nicht nur ein Recht auf Arbeit hat, sondern eine gesellschaftliche Verpflichtung: "Sie sagen, wir müssen Zahlen, was geschuldet wird."

Er ist nicht nur durch Abhängigkeit an diese Welt gebunden, sondern ist gesellschaftlich in ihr gefangen. In ihr, und in den systembedingten Ungerechtigkeiten, für die es keine richtigen Schuldigen zu geben scheint.

And the birds up on the wires and the telegraph poles

They can always fly away from this rain and this cold

"Und die Vögel auf den Telegraphenmasten können immer vor dem Regen und der Kälte weg fliegen." – ein Rückblick auf die ehemalige Freiheit und Unabhängigkeit, aber auch das komplette Desinteresse der Natur, für das, was der Mensch da an der Telegraph Road hochzieht.

Die Vögel sehen zwischen Telegraphenmasten und Bäumen keinen Unterschied.

Außerdem ein weiteres Wasser-Motiv: Regen als etwas Deprimierendes, in dem der Erzähler gefangen ist, während die Vögel mühelos entkommen können.

You can hear them singing out their telegraph code

All the way down the Telegraph Road

Sie singen IHREN Telegraph-Code, singen ein Lied in einer Sprache, die die Menschen nicht sprechen oder verlernt haben.

Die Telegraph Road und die Menschen existeren in einer Welt, die von den Vögeln – von der Natur – vollständig losgekapselt ist.

Fünfte Strophe

Well, I'd sooner forget, but I remember those nights

Yeah, life was just a bet on a race between the lights

You had your head on my shoulder, you had your hand in my hair

Now you act a little colder like you don't seem to care

Der Erzähler wendet sich an ein Du, die einzig andere Figur der Geschichte, und erzählt, wie er sich an andere Zeiten erinnert.

An Zeiten, in denen das Leben abenteuerlich und unbekümmert – eine "Rennwette zwischen den Lichtern" – war, und wie es um Wichtigeres als Finanzen, Gesetze und Fortschritt ging.

Und er erkennt, wie kalt die moderne Welt das Du hat werden lassen, und wie gefühlstot ihre Beziehung geworden ist.

But just believe in me baby and I'll take you away

From out of this darkness and into the day

From these rivers of headlights, these rivers of rain

From the anger that lives on the streets with these names

'Cause I've run every red light on memory lane

I've seen desperation explode into flames

And I don't wanna see it again

Der hoffnungsvolle Abschluss des Songs: "Glaub an mich, und ich bring uns hier weg!"

Der Erzähler will sich nicht zermürben lassen. Stattdessen schwört er, dem Du die Freiheit und Unbekümmertheit zurück zu geben, es von den "Flüssen aus Scheinwerfern, den Flüssen aus Regen" weg zu bringen.

Flüsse aus Scheinwerfern sind ein perfekt schwindelerregendes Bild – Eine verwirrende Welt, durch die niemand mehr durch sieht. Gleichzeitig sind sie das einzige 'widernatürliche' Wasser-Motiv: Die Telegraph Road hat sich nicht nur von der Natur abgekoppelt, sondern eine komplett eigene, widernatürliche Natur geschaffen.

Er will das Du von dem "Ärger, der auf den Straßen wohnt" weg bringen. Damit lässt uns der Erzähler wissen, dass seine Situation kein Einzelfall ist.

Er hat "Alle roten Ampeln auf der Straße der Erinnerungen überfahren". Er ist nicht nur bereit, die Konventionen zu brechen. Er hat es bereits getan, indem er sich die Erinnerung an eine andere Zeit zurück geholt hat.

Die Verzweiflung, die in Flammen aufgeht, lässt vermuten, dass es einen Auslöser für die plötzliche Entschlossenheit des Erzählers gibt. Verzweiflung hat etwas in Flammen aufgehen lassen. Etwas wichtiges. So wichtig, das er es um keinen Preis noch einmal erleben möchte.

From all of these signs saying "Sorry but we're closed"

All the way

Down the Telegraph Road

Das letzte Bild des Songs: Zahllose Schilder, auf denen steht "Tut uns leid, wir haben geschlossen."

Die wiederholte Zeile "All the way down the Telegraph Road" wird hier im Gesang semantisch dem Schild angehängt.

Damit würde auf den Schildern stehen "Tut uns leid, wir haben geschlossen – für immer."

Dem Höhenflug des Erzählers steht der sterbende Einzelhandel als Endstufe der Industrialisierung gegenüber. Es wird deutlich, dass er eben doch nur ein Einzelner ist, und seine Entschlossenheit nicht alle Probleme lösen kann oder wird.

Trotzdem greift der nächste Instrumental-Part die Motivation musikalisch wieder auf: Der Kampf ist noch nicht vorbei, aber auch noch nicht verloren.